Prospektfehler wegen Mietprognosen

Bundesgerichtshof, Urteil v. 31.05.2010

"b) Der Prospekt ist fehlerhaft. Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, ist dies allerdings nicht schon deshalb der Fall, weil die prospektierten Mieterträge bisher nicht erzielt worden sind. Zwar stellen die voraussichtlichen Mieterträge, von denen die künftige Entwicklung des Anlageobjekts abhängt, ein wesentliches Kriterium für die Entscheidung des Anlegers dar, sich an einem geschlossenen Immobilienfonds zu beteiligen. Ein Prospektherausgeber übernimmt aber grundsätzlich keine Gewähr dafür, dass die von ihm prognostizierte Entwicklung tatsächlich eintritt (BGH, Urt. v. 27. Oktober 2009 - XI ZR 337/08, ZIP 2009, 2377 Tz. 19; Sen.Urt. v. 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, ZIP 1982, 923, 928). Hieran lässt der Prospekt, dem eindeutig zu entnehmen ist, dass für die Richtigkeit der Prognoserechnung nicht garantiert werde, keinen Zweifel.

c) Ein Prospektfehler liegt jedoch darin, dass die der Liquiditätsprognose zugrunde gelegte Entwicklung der Mieten nicht auf der behaupteten Grundlage beruhte. Mit der Darstellung, die im Prospekt prognostizierten Mietsteigerungen "beruhten auf Erfahrungswerten der Vergangenheit", wird - wie das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht angreifbarer tatrichterlicher Würdigung angenommen hat - bei einem Anlageinteressenten die Vorstellung geweckt, dass in der Vergangenheit unter vergleichbaren äußeren Umständen entsprechende Mietzuwächse erzielt wurden und dass die auf derartige Erfahrungswerte gestützte Prognose der mit der Fondsimmobilie künftig erzielbaren Mieten deshalb zuverlässiger sei, als wenn sie lediglich unter Zugrundelegung verschiedener, für die Entwicklung von Mieten grundsätzlich bedeutsamer Faktoren - wie z.B. die Entwicklung des Lebenshaltungsindex der letzten 20 Jahre für einen Vierpersonenarbeitnehmerhaushalt, standort- und objektbezogene Umstände u.a. - erstellt worden wäre. Dass damit nicht zugleich gesagt wird, dass die Vergleichsobjekte in der Stadt E. liegen, ist insoweit ohne Belang. Der Eindruck, dass die Prognose sicherer sei, weil Erfahrungswerte über die Entwicklung der Mieten bestünden, wird verstärkt durch die Ausführungen auf S. 50 2. Absatz des Prospekts, wo es heißt, dass bei der Anlage in zu vermietende Immobilien - anders als bei Risikokapitalinvestitionen - die Prognoserechnungen auf einem soliden Fundament aufbauten, weil die Fortschreibung der am konkreten Markt üblichen, erzielbaren Mieten für die Zukunft, nicht zuletzt aufgrund von Erfahrungswerten der Vergangenheit, im Schätzungswege möglich sei. Dass sich diese Ausführungen im Prospekt unter der Überschrift "Einkommensteuer" finden, steht ihrer Würdigung im vorliegenden Zusammenhang nicht entgegen. Für die Beurteilung, ob ein Emissionsprospekt unrichtig oder unvollständig ist, ist auf das Gesamtbild abzustellen, das er dem Anleger vermittelt (BGH, Sen.Urt. v. 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, ZIP 1982, 923, 924; Urt. v. 28. Februar 2008 - III ZR 149/07, VuR 2008, 178 Tz. 8).

Die Aussage, dass die Liquiditätsprognose und die ihr zugrunde gelegte künftige Mietentwicklung darauf beruhten, dass in der Vergangenheit bei vergleichbaren Objekten unter vergleichbaren äußeren Umständen Mietzuwächse in dieser Höhe erzielt werden konnten, ist unzutreffend. Anders als es der Prospekt suggeriert, standen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts den Prospektverantwortlichen solche "Erfahrungswerte der Vergangenheit", die die Annahme stützen konnten, dass auch für die Fondsimmobilie Mietzuwächse in der im Prospekt dargestellten Höhe zu erzielen seien, nicht zur Verfügung.

Anders als die Anschlussrevision meint, ist ein Prospektfehler nicht deshalb zu verneinen, weil - wovon mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren auszugehen ist - die Prognose über die Steigerung der Mieterträge durch ausreichende Tatsachen (Entwicklung des Lebenshaltungskostenindex der letzten zwanzig Jahre für einen Vierpersonenarbeitnehmerhaushalt, Mietspiegel der Stadt E. , Mitteilung der Stadt E. über den voraussichtlichen Wohnungsbedarf, standort- und objektbezogene Umstände) gestützt und aus damaliger Sicht kaufmännisch vertretbar war. Zwar sind die Interessen eines Anlegers, der mit seiner Entscheidung für die Anlage das Risiko

trägt, dass die prospektierte künftige Entwicklung des Anlageobjekts nicht eintritt, grundsätzlich gewahrt, wenn die Prognose diese Voraussetzungen erfüllt und die künftigen Mieterträge nach den damals gegebenen Verhältnissen und unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Risiken kalkuliert sind (BGH, Sen.Urt. v. 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, ZIP 1982, 923, 927 f.; Urt. v. 27. Oktober 2009 - XI ZR 337/08, ZIP 2009, 2377 Tz. 19; v. 18. Juli 2008 - V ZR 71/07, WM 2008, 1798 Tz. 11).

So verhält es sich hier jedoch nicht. Auch wenn die Prognose hinreichend auf Tatsachen gestützt und kaufmännisch vertretbar war, wird dem Anlageinteressenten hier ein unzutreffendes Bild von der angebotenen Kapitalbeteiligung vermittelt, weil im Prospekt der unrichtige Eindruck erweckt wird, das jeder Prognose - auch wenn sie den genannten Anforderungen genügt - anhaftende Risiko, dass sie sich im nachhinein als unzutreffend erweist, sei bei dem angebotenen Anlageobjekt geringer zu bewerten, weil die Schätzung "auf Erfahrungswerten der Vergangenheit" beruhe und deshalb zuverlässiger sei.

Dieser Eindruck wird durch die im Prospekt erteilten Risikohinweise nicht entkräftet. Mit der Formulierung, dass sich die Mieten anders als im Prospekt dargestellt entwickeln können, weil es sich um künftige Sachverhalte handele, wird dem Anlageinteressenten lediglich die jeder Prognose immanente Unsicherheit vor Augen geführt. Dass die für diesen Fonds prospektierten Werte zuverlässiger sind, weil sie auf Erfahrungswerten der Vergangenheit beruhen, wird damit jedoch nicht in Frage gestellt."