Verbesserung der Rechtslage für Erwerber sog. Schrottimmobilien - Bundesgerichtshof schafft mit 90%-Regel erhöhte Rechtssicherheit

Erwerber von Schrottimmobilien haben vor allem zwei Hauptsorgen: Einerseits einen höheren monatlichen Liquiditätsabfluss und zum anderen einen erheblich geringeren Verkehrswert der erworbenen Immobilie als versprochen. Hierdurch entsteht gerade bei geringeren Einkommen eine Zwangslage, da eine vorzeitige Veräußerung der Immobilie ohne massiven Aderlass nicht möglich ist.

Geradeunter Berufung auf eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises werden häufig Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrages und auf Schadenersatz gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht (die Vertriebe sind meistens bereits aufgelöst oder isolvent).

Die Geltendmachung von Rückabwicklungsansprüchen - eine Überteuerung unterstellt - gegenüber dem Verkäufer ist jedoch grundsätzlich mit Risiken behaftet. Diese rührten u.a. daher, dass der Nachweis der verwerflichen Gesinnung des Verkäufers, für die der Kläger darlegungs- und beweispflichtig ist, regelmäßig schwierig zu erbringen ist, zumal dem Erwerber insoweit keinerlei Dokumentation oder Zeugen zur Verfügung stehen.

Idealerweise kann sich ein Erwerber aber auf eine dahingehende Vermutung stützen, die ihm grundsätzlich dann zugute kommt, wenn von einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung (Immobilie) und Gegenleistung (Kaufpreis) auszugehen ist.
Bislang herrschte allerdings Unklarheitsicherheit darüber, ab wann ein solches Missverhältnis anzunehmen ist. Die Faustformel „wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung" half hier nicht viel weiter. Eine eindeutige Grenze bestand nicht; vielmehr hatten sich einzelfallgeprägte Richtwerte entwickelt, die allerdings eher angaben, wann ein besonders grobes Missverhältnis nicht vorlag (vgl. z.B. BGH Urteil vom 10.12.2013, Az.: XI ZR 508/12).

Mit dieser Unsicherheit ist jetzt Schluss. In seiner Entscheidung vom 24.01.2014 (Az.: V ZR 249/12) stellte der Bundesgerichtshof (BGH) fest, dass von einem besonders groben Missverhältnis, bei dem die Vermutung der verwerflichen Gesinnung zu Lasten des Verkäufers eingreift, grundsätzlich ab einer Überteuerung von 90% auszugehen ist:

 „Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das ohne das Hinzutreten weiterer Umstände den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten erlaubt, liegt bei Grundstückskaufverträgen grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90% vor."(Leitsatz)

In dem zugrundeliegenden Fall erwarb der Kläger eine Eigentumswohnung zu einem Kaufpreis von € 118.000. Der auf Rückabwicklung verklagte Verkäufer hatte diese kurz zuvor selbst für € 53.000 erworben. Der Käufer nahm den Verkäufer unter Berufung auf eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises auf Rückabwicklung des Vertrages und auf Schadenersatz in Anspruch. Die Vorinstanzen gingen nach den Feststellungen eines eingeholten Gutachtens von einem Verkehrswert von € 65.000 aus, der Kläger aufgrund eines Privatgutachtens von € 61.000. Es stellte sich somit die Frage, ob bei einer Überteuerung von 81% bzw. 93% die begründete Vermutung der verwerflichen Gesinnung des Verkäufers eingreifen kann.Der BGH hat dies für eine 90% Überschreitung bejaht und den Fall zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Mit dieser Entscheidung werden endlich klare Verhältnisse geschaffen und erhöht sich die Rechtssicherheit für Erwerber sog. Schrottimmobilien.

Aber auch in den Fällen, die eineunter 90% liegende Überteuerung aufweisen, besteht Hoffnung. Zwar kann in diesen Fällen allein aus dem Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht der Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Verkäufers gezogen werden. Allerdings kann das hier bestehende Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Zusammenhang mit weiteren Umständen die Sittenwidrigkeit begründen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen Teils bewußt zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, daß sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat (vgl. nur BGH Urteil vom 19. Januar 2001, Az.: V ZR 437/99). Die Behauptungs- und Darlegungslast trifft insoweit allerdings den klagenden Erwerber, ohne dass er sich auf die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung stützen kann.

Zu beachten ist, dass bei der Feststellung einer Überteuerung in der Regel nicht der notarielle Kaufpreis zugrunde gelegt werden kann, sondern etwaige in den Kaufpreis eingerechnete Nebenkosten (wie z.B. Grunderwerbsteuer sowie Notar- und Grundbuchkosten) von der Leistung des Klägers abzuziehen sind (vgl. nur BGH Urteil vom 18. April 2000, Az.: XI ZR 193/99). Erst der sich so ergebende Kaufpreis kann mit dem Verkehrswert ins Verhältnis gesetzt werden.
Darüberhinaus sind vor der Geltendmachung von Rückgewährs- und Schadenser­satzansprüchen regelmäßig weitere Aspekte zu prüfen, wie etwa die Solvenz möglicher Klagegegner, Prozessrisiken- und –kosten, Verjährungsfragen etc.

Gerne prüfen wir für Sie, ob in Ihrem Fall die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung sowie Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Ihrem Immobilenerwerb vorliegen.